#120 Simon Pfeffel über Balance im Raum und Schieflage im System
Von Mut, Vertrauen und Ungerechtigkeiten
Simion Pfeffel bei einer seiner 100 Aktionen, die er an 100 Tagen in Hannover durchgeführt hat im Jahr 2022.
Mut - Irritation - Vertrauen
Drei Begriffe, die wie kaum andere auf die Arbeit von Simon Pfeffel passen. Der Performance-Künstler bewegt sich konsequent dort, wo viele lieber unsichtbar bleiben: im Stadtraum, im Dialog mit Fremden, in Situationen, die jederzeit kippen können. Genau in dieser Reibung, in dieser Provokation und Unsicherheit liegt für ihn der Kern seiner Arbeit.
Unser Gespräch hat sich in zwei spannende Bereiche unterteilt. Im ersten Teil gibt Simon Pfeffel Einblicke in seine künstlerische Praxis, seine Motivation und die Momente, in denen selbst er überrascht wird. Im zweiten Teil dann verschiebt sich der Fokus: weg von der reinen Performance-Praxis, hin zu den Strukturen, die künstlerisches Arbeiten überhaupt ermöglichen…oder erschweren. Dabei geht es um Netzwerke, um Machtfragen, um Gender-Ungleichheiten und um die Frage, wie man trotz aller Frustration motiviert bleibt.
Mut oder Routine?
Ist Simon Pfeffel ein mutiger Mensch? Auf den ersten Blick scheint es so, schließlich legt er sich in fremde Arme, pustet Federn, auf dem Bauch liegend, quer durch die Stadt oder balanciert auf Stangen, die von fremden Menschen gehalten werden. Doch was er über Mut erzählt, dreht die Frage in eine überraschende Richtung…!Und er unterteilt seine Kunst in drei Grundrichtungen anhand von drei Beispielen. Jede ist riskant, jede eröffnet Raum für Dialog und jede kann grandios scheitern, oft durch nur kleinste Einflüsse. Warum genau diese Abhängigkeit vom Gegenüber für ihn entscheidend ist, verrät er in diesem Abschnitt.
Still aus Video auf Instagram, Courtesy: Galerie Burster, Berlin
Irritation als Türöffner
Irritation ist für Simon kein Nebeneffekt, sondern bewusstes Werkzeug. Sie macht Menschen neugierig und plötzlich entsteht ein Gespräch, das ohne so eine schräge Situation nie stattgefunden hätte. Und dabei legt Simon großen Wert darauf, dass seine Aktionen nicht gleich als Kunst wahrgenommen werden. Denn das eröffnet Möglichkeiten, die sonst sofort zunichte gemacht werden würden. Wieso – das erklärt er uns.
Ob über eine Museumsdecke laufen oder mit Hilfe von Fremden über dem Rhein balancieren: Viele seiner Performances sind nur möglich, wenn andere ihm wortwörtlich den Rücken stärken. Aber Simon beschreibt, dass er nicht als „vertrauensvoller Mensch“ geboren wurde – im Gegenteil. Wie er das Vertrauen in andere gelernt hat, führt zu einem sehr persönlichen Moment im Gespräch.
Simon trägt (mal wieder) jemanden nach Hause. Foto: Anton Vester
Lieber feiern als malen
Warum hat Simon Pfeffel die Malerei hinter sich gelassen? Was hatte das damit zu tun, dass das Atelier irgendwann weniger spannend war als das Feiern? Simon erzählt von einem Schlüsselmoment im Studium und warum für ihn heute der Dialog mit anderen das eigentliche Werk ist. Dabei werden Laternen zu Gipfeln und Treppen zu Orten des Unmöglichen. Ich finde, dass Simon klingt wie ein Kind, das einfach nur mega gern spielt und ausprobiert…und ich scheine damit ziemlich ins Schwarze getroffen zu haben.
Kunststudium – Türöffner oder überbewertet?
Ein Kunststudium ist nicht zwingend nötig, sagt Simon, es erleichtert aber vor allem einen wichtigen Bereich: die Vernetzung. Kontakte zu relevanten Playern zu bekommen und das Potenzial, früh gefördert zu werden, das geht ohne ein Studium deutlich zäher. Denn: „Die Arbeit fängt ja eigentlich erst nach dem Studium an.“ Allerdings bleibt auch mit Studium eines ein Problem: das solo-selbstständige Denken und Handeln, denn das wird auch von den Professorinnen und Professoren selbst nur selten beherrscht.
Zwischen Urheberrecht und fehlender Professionalität
Ein Herzensthema für Simon Pfeffel: das Urheberrecht! Besonders §32 Abs. 1 („angemessene Vergütung gilt als vereinbart, wenn nichts anderes festgelegt ist“) ist ein starkes Werkzeug, das jede einzelne Künstlerin und jeder Künstler unbedingt kennen und nutzen sollte.
Doch er ist frustriert darüber, wie wenig Professionalität im Kunstbetrieb herrscht, gerade in der Solo-Selbstständigkeit. Wissen über Verträge, Honorare und Förderungen fehlt vielerorts – und das selbst in den wichtigen Verbänden wie BBK, GEDOK sowie in den Kunstvereinen. Das Ergebnis: strukturelle Schwächen, die die Künstler:innen ausbremsen.
Damit du nicht erst googeln musst, zeige ich dir direkt hier den Teil des Urheberrechts, den Simon uns allen ans Herz legt:
§ 32 des Urheberrechtsgesetzes: Angemessene Vergütung:
(1) Der Urheber hat für die Einräumung von Nutzungsrechten und die Erlaubnis zur Werknutzung Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, gilt die angemessene Vergütung als vereinbart. Soweit die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, durch die dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird.
Foto: Leni Hoffmann
Survival of the Fittest…und warum Frauen öfter rausfallen
Sehr deutlich wird Simon auch beim Thema Gendergerechtigkeit:
Nach dem Studium verschwinden viele Frauen vom Kunstmarkt – nicht wegen mangelnder Qualität, sondern wegen Care-Arbeit, Abhängigkeiten und einem ungleichen Fördersystem.
Stipendien schließen Frauen häufig automatisch aus, weil sie durch den extremen Gender Pay Gap im Bereich der Bildenden Kunst öfter auf zusätzliche Einkommen angewiesen sind und die Voraussetzungen zur Teilnahme daher nicht leisten können.
Auf meine Frage, wer den seiner Meinung nach im Kunstbetrieb zu „the fittest“ gehören, hat er eine klare Antwort: „Diejenigen, die sozial am unabhängigsten sind, sind die Fittesten“, sagt Simon – und kritisiert ein System, das strukturell Schwächere nicht auffängt, sondern aussortiert.
Verbände und Vereine: Lösung oder Teil des Problems?
Verbände wie BBK, GEDOK und Kunstvereine übernehmen zweifellos wichtige Aufgaben, doch Simon sieht viele Defizite. Häufig fehlt es an politischem Know-how und an strategischem Arbeiten. Viele dieser Einrichtungen, vor allem in ländlichen Regionen, erwarten von den Künstlerinnen und Künstlern noch immer Eigenbeiträge statt Honorare. Zudem bleiben die Netzwerke oft in ihrer eigenen Blase, ohne echte Sichtbarkeit nach außen zu erzeugen. Sein Fazit: Die Strukturen wollen zwar unterstützen, greifen dabei aber zu Werkzeugen von vorgestern.
Konkretes Beispiel: eigene, aktuelle Erfahrung:
Meine Ausstellung “offensichtlich verborgen” (vgl. Episode #119) in der GEDOK Hamburg im August 2025 wurde zu einer der am stärksten besuchten Ausstellungen in der Geschichte des Hauses und sogar die erfolgreichste Einzelausstellung mit Zahlen, die für jegliche kleine Galerie sogar für Hamburg vorzeigenswert sind. Für die gemeinsame Sichtbarkeit, meine wie auch die des Verbandes, wäre es naheliegend, dies zu kommunizieren, etwa in Form eines offiziellen Schreibens oder einer prägnanten Mitteilung für Website und Social Media. Stattdessen versuchte man, mit keiner Künstlerin im Verband anzuecken (andere könnten ja enttäuscht sein, wenn man solch einen Erfolg kommuniziere…) und verpasst so eine Chance, für sich als GEDOK Strahlkraft zu erzeugen und eine Künstlerin zu unterstützen - ein nicht ungewöhnliches Verhalten, wie Simon kommentierte.
Manchmal machen Menschen sich Sorgen, ob alles okay ist. Und manchmal fragt offensichtlich auch mal die Polizei.
Frustration und Hoffnung zugleich
Nach Jahren ehrenamtlicher Arbeit blickt Simon kritisch zurück: Chancen nach Corona, etwa verbindliche Honorare zu verlangen, wurden nicht genutzt. Die Szene selbst hat sich nicht kollektiv genug organisiert, um politischen Druck aufzubauen.
Gleichzeitig ist er in seiner eigenen Arbeit hoch motiviert: Ein Kinofilm über ihn (Regie: Nadine Zacharias) erscheint bald, seine Promotion ist abgeschlossen, und mit dem Verein YouTransfer entstehen neue Räume im digitalen und städtischen Kontext.
Berührend fand ich die Stelle im Gespräch, in der Simon fast schon gegen seinen eigenen Willen beschreibt, inwiefern seine Kinder heute seine wichtigste Inspirationsquelle sind. Ihr kindlicher Blick, die Fähigkeit, etwas völlig Nebensächliches für eine kurze Zeit ins Zentrum der Welt zu rücken, fließt direkt in seine Arbeit ein.
Tag 50 bei der großen 100-Tage-Performance in Hannover
Kleine Performances für den Alltag
Kunst machen und Kunst zeigen braucht Mut und Vertrauen! Zum Schluss gibt Simon Pfeffel uns allen zwei praktische Ideen an die Hand, mit denen wir neue Erfahrungen machen und -natürlich- mit der Zeit Mut und Vertrauen aufbauen können:
Sich beschimpfen lassen: Fremde bitten, einen 30 Minuten lang zu beleidigen. Klingt hart, erzeugt aber spannende Empathie-Momente.
Die Feder pusten: Eine Stunde lang eine Feder durch den Stadtraum bewegen – und erleben, wie aus etwas scheinbar Wertlosem eine Situation voller Begegnung und Zeitbewusstsein entsteht.
Wenn dir diese Ideen zu gewagt erscheinen, ersetze Teile dieser Vorschläge durch etwas anderes. Vielleicht reicht es dir ja schon, mitten in der Fußgängerzone einfach mal laut anzufangen zu lachen…!?
Nochmal hören:
In den folgenden drei Episoden findest du Themen, die an das heutige Gespräch anknüpfen - der erste Tipp ist das Gespräch mit Simon Pfeffel, das ich am Anfang erwähnt habe:
#91 Denkst du schon solo-selbstständig oder muckelst du noch vor dich hin? - Simon Pfeffel und Benjamin Thaler im Gespräch
#108 Anh Nguyễn und die Kraft der inneren Einstellung - Von unternehmerischem Denken, Selbstbewusstsein und Präsenz
#117 Anne Simone Kiesiel: Kunst ist kein Selbstgespräch - Ein Gespräch über Sichtbarkeit, Selbstwert und den Kunstbetrieb
Atelier-Talk wird unterstützt von:
Manuel Koch und seinem Salon Schinkelplatz
„Die schönste Rendite ist die Freude an der Kunst“ sagt Manuel Koch. Als Kunstkenner, Sammler und Finanzexperte weiß er, wovon er spricht.
Die Freude, von der er spricht, ist sogar 3-fach:
Zum einen entsteht sie aus dem Wissen, dass mit dem Kauf von Kunst Künstlerinnen und Künstler unterstützt werden und ihnen und ihrer Arbeit Wertschätzung geschenkt wird.
Du als Käufer:in hast die Freude an einem neuen Kunstwerk, das deinen Alltag verschönert und bereichert.
Durch das Kaufen von Kunst kannst du für dich ein richtig gutes Investment tätigen.
Alle Infos findest du bei: www.salon-schinkelplatz.de .
Link-Liste:
Mehr über Simon Pfeffel findest du hier:
Das Bündnis für eine gerechte Kunst- und Kulturarbeit, Baden-Württemberg, das Simon mit gegründet hat
Der von Simon und anderen neu gegründete Verein YouTransfer
Außerdem:
Mehr über mich, Stephanie Hüllmann, gibt’s auf meiner
Mehr über meinen Kunst-Podcast-Unterstützer Manuel Koch und seinen Salon Schinkelplatz findest du hier:
Manuel Koch bei Instagram
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