#118 Mathias Thiel über Pixel und Pinsel, Wallet und Wand
Von digitalen Originalen und realer Berührung
Mathias Thiel bei seiner Eröffnungsrede für die “BETWEEN WORLDS, Old walls - New art” Digital Art Exhibition des NFT Club Berlin im asisi Panorama Berlin
Eine ganz andere (Kunst-)Welt?
In Episode #118 meines Kunst-Podcasts stelle ich Mathias Thiel all die Fragen über digitale Kunst, die mir schon so lange durch den Kopf gehen. Sein Leben ist durch seine Arbeit als Art Director vollständig von Kunst durchdrungen. Er ist leidenschaftlicher Sammler und hat sich tief in den digitalen Kunstmarkt eingearbeitet. Dieses Gespräch gibt mir endlich einen Einblick in das, was mir bisher wie eine ganz andere, entkoppelte Kunstwelt erschien und sich im Interview als ein Kunstfeld mit unglaublich vielen Parallelen zur traditionellen Kunstwelt entpuppt. Mit dieser Überraschung hatte ich nicht gerechnet.
Eindrücke von der “BETWEEN WORLDS, Old walls - New art” Digital Art Exhibition des NFT Club Berlin im asisi Panorama Berlin
Knopfdruck-Produkt oder Kunstwerk
Was ist denn nun digitale Kunst? Kann ich einfach ein Handyfoto machen, es zu Kunst erklären und digital verschicken? Einen nachvollziehbaren Lebenslauf als Digitalfotografie-Künstler:in, sollte man mindestens haben, sagt Mathias Thiel. Allerdings fände ein beliebig oft vervielfältigbares Werk ohne klare Limitierung oder Provenienz so gut wie keinen Absatz. Schließlich geht es auch den Sammler:innen digitaler Kunst um den Erwerb von Unikaten oder Werken aus begrenzten Editionen.
Digitale Kunstwerke entstehen ebenso wenig durch nur einen Knopfdruck wie eine Malerei, eine Plastik oder andere Werke in der physischen Welt ohne jahrelange Erfahrung und intensives Darauf Hinarbeiten entstehen können. Gute Kunst braucht Zeit, Hingabe und ein geschultes Auge.
Für Mathias Thiel gibt es keine Kernunterschiede zwischen traditioneller und digitaler Kunst. Maler:innen arbeiten mit Farbe und Leinwand als Medium, Digitalkünstler:innen arbeiten mit Code. Sie haben sich über viele Jahre umfassend mit dem Erlernen von Code beschäftigt und darin ein persönliches, kreatives Werkzeug erkannt, sich künstlerisch auszudrücken. Der Grund, warum Vielen digitale Kunst als etwas so Fremdartiges vorkommt, liegt im komplizierten Zugang zu digitalen Werken. In ihren Anfängen wurden sie noch komplett mit einem ganzen Computer, Screen oder Videorekorder verkauft. Mit dem Aufkommen von Blockchains Ende der 2000er Jahre stand dann den Digitalkünstler:innen endlich die Möglichkeit offen, ihre Kunst digital vermarktbar zu machen - auch als Unikate.
Gibt es das digitale Original?
Wie wird denn nun ein digitales Kunstwerk zum nicht kopierbaren Unikat?
Und da sind sie - die Begriffe, die mir ständig im Zusammenhang mit digitaler Kunst begegnen, aber so unintuitiv und fremd klingen: Blockchain, NFT, Wallet…Mathias Thiel hat sich intensiv in die notwendigen Abläufe eingearbeitet. Diese Auseinandersetzung initiierte sogar seinen Start als Sammler.
Tatsächlich gibt es auch hier Parallelen zur traditionellen Kunst, wo signierte Unikate oder limitierte Editionen auf dem Kunstmarkt gehandelt, in private oder Museumssammlungen aufgenommen und nach und nach mit einer Provenienz versehen werden.
Der Ort, wo digitale Kunstwerke als Unikate gekennzeichnet sind, ist eine Blockchain. Sehr vereinfacht erklärt ist dies eine dezentral verteilte Datenbank, die durch hohe Sicherheit, Transparenz und vor allem Unveränderlichkeit gekennzeichnet ist.
Wird ein Kunstwerk in die Blockchain eingeschrieben, durchläuft es den Prozess des Mintings (Prägens). Es wird, ähnlich wie beim Vorgang des Prägens einer Münze, mit dem Namen der Künstler:in, sowie einem Zeitstempel für Datum und Uhrzeit gemintet. Dieser “Stempel” ist nicht mehr widerrufbar. Er ist die Signatur auf dem Kunstwerk, das dadurch urheberrechtlich geschützt und eindeutig zuzuordnen ist. Das Kunstwerk ist nun als NFT-Eintrag (Non-Fungible Token / Nicht veränderbare Wertmarke) in der Blockchain gespeichert und kann von diesem Moment an weltweit online gehandelt werden. Dies geschieht über NFT-Marketplaces.
Künstler:innen haben dadurch den großen Vorteil, dass sie ihre Kunst direkt, ohne Galerie oder anderweitige Vermittlung an die Käufer:innen übertragen können.
Sammler:innen legen dann die Zugänge zu ihren gekauften Kunstwerken in ihren digitalen Wallets (Brieftaschen) ab, über die sie jederzeit auf ihre Sammlung zugreifen und sich die Arbeiten ansehen können.
Alkan Avcioglu (Türkei), Titel: STRATA #504
NFT im Besitz von Mathias Thiel
Alkan Avcioglu, Titel: STRATA #504
Als signierter Print zuhause bei Mathias Thiel (oben), Detailansichten (unten)





Genuss mit Hürden
Wenn mich ein Kunstwerk begeistert und fasziniert, möchte ich es jeden Tag um mich haben und betrachten. Wie lässt sich aber digitale Kunst genießen, wenn sie nicht physisch existiert? Mathias Thiel hat für sich persönlich mehrere Möglichkeiten gefunden. Leider passen sich digitale Arbeiten nicht ohne Weiteres an die Screengrößen von Fernsehgeräten an. Außer den naheliegenden Zugängen über Handy oder Rechner, nutzt Mathias daher kleine kreditkartengroße Computer, die er mit einem Bildschirm versehen an der Wand platziert.
Dadurch verschmelzen die digitalen Werke dann eigentlich doch wieder mit einem physischen Objekt. Die Grenzen sind also fließend, vor allem dann, wenn Künstler:innen auch Ausdrucke rein digitaler Arbeiten erstellen und vertreiben, um dem Großen Bedürfnis der Sammler:innen, die Kunst um sich haben zu können, nachzukommen.
Eigenbau: 4” Bildschirm auf Raspberry Pi Computer
Digitale Arbeit von Kim Asendorf, Titel: Alternative v36
Yadegar Asisi, Phygital: Physische Mini Computer, die digitale Arbeiten aus der limitierten NFT-Edition “Canvas Legacies” zeigen.
Minicomputer als physischer Teil der “Phygitals”
Die limitierte Edition der Serie “Canvas Legacies” wurde mit Minicomputer und Screen zum direkten Anschauen der Arbeiten verkauft.
Traditionelle Lücken füllen
Mathias Thiel sagt, Kunstwerke sind der Weg der Künstler:innen eine eigene innere Lücke zu füllen. Wenn ein Kunstwerk auch die Lücke eines anderen Menschen auf der Welt füllen kann, ist das ein großes und romantisches Wunder.
Für ihn beinhaltet das Sammeln nicht nur das Kunstwerk an sich, sondern auch, in Kontakt mit den Künstler:innen zu treten, deren Biografie, Lebensweise und Antrieb kennenzulernen. So erschließen sich ihm die Arbeiten auf eine wesentlich tiefgreifenderen Ebene und lassen ihn die Kunst noch intensiver erfahren.
Das Bedürfnis nach Hintergrundwissen zum Verständnis des künstlerischen Impulses ist bei traditionellen Sammler:innen ähnlich stark verankert. Die Nähe zum Werk durch das Erlebnis des Staunens bildet hier ebenso den Antrieb zum Erwerb einer Arbeit. Wieder werden mir die Parallelen klar bewusst und mein Grundverständnis digitaler Kunst erweitert sich noch einmal ganz unmittelbar.
Jan Robert Leegte (Niederlande)
Titel: „JPEG (0xfa9c1ecc2372f2c201)“
Physische Fortführung einer NFT Edition
Aber was ist mit KI-generierter Kunst?
Wenn man sich anschaut, wie beängstigend schnell KI-gesteuerte Generatoren Bilder nach den individuellen Wünschen der User ausspucken, macht dies die Menschen im Kunstbereich sehr unsicher. Kann es sich bei den Ergebnissen überhaupt um Kunst handeln, wenn sich eine Künstler:in der KI bedient? Mathias Thiel hat dazu eine sehr offene Haltung. Auch hier brauchen die Künstler:innen oft hunderte oder tausende Anläufe und Weiterbearbeitungen, bis ein endgültiges Werk entsteht. Ähnlich, wie beim Experimentieren mit Farbe auf Leinwand oder dem Kontrollverlust bei der Aquarellmalerei, der zu einem ungeplanten und spannenden Momentum in der Weiterentwicklung einer Arbeit führen kann, ergeben sich natürlich auch Rückkopplungen aus dem Ungeplanten in den Ki-generierten Zwischenstadien einer Arbeit. Der künstlerische Impuls und die gestalterische Reaktion auf den sich wandelnden kreativen Arbeitsprozess liegen jedoch auch bei mithilfe von KI erstellten Werken in der Hingabe und Erfahrung der Künstler:innen.
Anna Lucia (Niederlande), Titel: Oefenstof
Generative Art, Umsetzung auf Leinen
Anna Lucia (Niederlande), Titel: Oefenstof-Serie
Generative Art, Umsetzung auf Leinen, Galerie MET, Berlin
Löst die KI nun die traditionelle Kunst ab?
Das ist eine Frage, die sicherlich vielen Künstler:innen sorgenvoll durch den Kopf geht. Ich habe sie mir jedenfalls schon oft gestellt. Mithilfe von KI generierte Kunst muss an dieser Stelle auch eindeutig von code-generierter digitaler Kunst, wie sie zuvor zur Sprache kam, unterschieden werden. Im Interview vertritt Mathias Thiel eine sehr ausgleichende Einstellung dazu, die er mit spannenden Entwicklungen aus der Kunstgeschichte untermauert.
Natürlich möchte ich auch noch von ihm wissen, ob nun alle traditionell arbeitenden Künstler:innen ihre Arbeiten auch digitalisiert als NFTs anbieten sollten oder sich mit dem langwierigen Lernen von Code auseinandersetzen müssen, um am Zahn der Zeit zu bleiben.
Seine Antworten werden Euch überraschen!
Die vielen Parallelen zwischen traditioneller und digitaler Kunstwelt, sowie des jeweiligen künstlerischen Schaffens und Sammelns haben mich auf jeden Fall sehr zum Staunen gebracht und ich werde mich mit Sicherheit weiterhin damit beschäftigen.
Marcel Schwittlick (Deutschland), Titel: “It Is What It Is”, Luminogramm
Generative Art, Pen Plotter mit Laser in Dunkelkammer auf Fotopapier
Das NFT zur physischen Arbeit dient hierbei als Certificate of Authenticity
Marcel Schwittlick und Mathias Thiel bei DAM Projects Berlin
Bist du dabei? Vernissage meiner Einzelausstellung
Ihr seid herzlich eingeladen zur Vernissage meiner Einzelausstellung bei der GEDOK Hamburg, fußläufig vom Bahnhof im Stadtteil St. Georg.
Am 5. August um 19 Uhr öffnet das Kunstforum in der Langen Reihe 75 seine Türen. Eröffnet wird die Vernissage von Sibylle Hoffmann mit einem eigens für diesen Anlass verfassten Essay.
Bringt Neugierde mit - ich freue mich auf gemeinsame Gespräche mit alten und neuen Podcast-Hörer:innen.
Nochmal hören:
Ju Schnee erzählt uns in Episode #113 wie sie den Sprung in die digitale Welt wagte und ihre Arbeiten nun durch Augmented Reality vom Physischen ins Virtuelle erweitert.
Atelier-Talk wird unterstützt von:
Manuel Koch und seinem Salon Schinkelplatz
„Die schönste Rendite ist die Freude an der Kunst“ sagt Manuel Koch. Als Kunstkenner, Sammler und Finanzexperte weiß er, wovon er spricht.
Die Freude, von der er spricht, ist sogar 3-fach:
Zum einen entsteht sie aus dem Wissen, dass mit dem Kauf von Kunst Künstlerinnen und Künstler unterstützt werden und ihnen und ihrer Arbeit Wertschätzung geschenkt wird.
Du als Käufer:in hast die Freude an einem neuen Kunstwerk, das deinen Alltag verschönert und bereichert.
Durch das Kaufen von Kunst kannst du für dich ein richtig gutes Investment tätigen.
Alle Infos findest du bei: www.salon-schinkelplatz.de .
Link-Liste:
Mehr über Mathias Thiel findest du hier:
Außerdem:
Mehr über mich, Stephanie Hüllmann, gibt’s auf meiner
Mehr über meinen Kunst-Podcast-Unterstützer Manuel Koch und seinen Salon Schinkelplatz findest du hier:
Manuel Koch bei Instagram
Atelier-Talk findest du auf Spotify und Apple Podcasts - zum Abonnieren und zum Beschenken mit fünf Sternen, DANKE! :-)
Atelier-Talk bei Instagram, mit weiteren Fotos, Infos, Videos und viel Aktuellem.