#116 Was für Kunst brauchen wir heute, Steffen Blunk?

 

Warum Kunst gerade jetzt nicht leise sein darf


Steffen Blunk vor einem Bild aus der Serie “Doggerbank” - neben ihm, Karten spielend, sein Großvater.

Was für eine Kultur wollen wir – und was für eine Gesellschaft?

Der Anlass für dieses Gespräch ist ernst: Deutschland steht politisch unter Spannung. Ein Kulturstaatsminister freut sich, nicht mehr Kulturstaatsminister zu sein, weil er die Kürzungen nicht mehr mittragen will, ein anderer übernimmt das Amt - ein Mann mit publizistischer Vergangenheit und einem Programm, das polarisiert. In dieser Episode spreche ich mit Steffen Blunk über diese Entwicklung – und über die Frage, was sie für Künstlerinnen und Künstler bedeutet. Wo stehen wir, wenn Kultur für manche zur Problemzone wird? Und was bedeutet es, wenn Kunstförderung nicht nur gekürzt, sondern offen infrage gestellt wird?

Steffen Blunk ist Maler, Kurator und Galerist…und er war Journalist! Beim Atelier-Talk Podcast ist er nicht neu: er war schon mein Gast in Episode #67 - hör sie dir unbedingt an, wenn du mehr über Steffen erfahren möchtest!

Jäger und Gejagter (2021) - Öl und Cut-out auf Schichtholzplatte, 83 x 120 cm

Zwischen Kulturkampf und Kunstfreiheit

Steffen Blunk ist nicht nur Künstler, sondern auch politisch aktiv und engagiert. Als ehemaliger Journalist analysiert er, was sich derzeit in der Sprache und im Ton verschiebt und was das für unsere Gesellschaft bedeutet. Besonders kritisch sieht er die Berufung Wolfram Weimers, Autor des sogenannten “Konservativen Manifests”, das in Teilen Formulierungen aus der Blut-und-Boden-Rhetorik wiederholt. Was sagt es über unser Land, wenn solche Begriffe wieder salonfähig werden? Und wie reagieren Kulturschaffende auf diesen Klimawechsel – mit Resignation oder mit Widerstand?

Kunst ist nicht harmlos. Und sie darf es auch nicht sein.

Natürlich ist auch das Thema Malerei Teil des Gesprächs. Aber nicht als bloßer ästhetischer Reflex, vielmehr wird deutlich: wenn politische Verhältnisse kippen, wenn der gesellschaftliche Ton rauer wird, dann verändert sich auch der künstlerische Ausdruck. Blunk spricht über seine eigene intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte seines Großvaters im Zweiten Weltkrieg und vor allem darüber, wie sich im Laufe der Jahre seine Arbeit gewandelt hat. Seine Bilder sind keine Illustrationen, sondern Interventionen. Sie befragen Geschichte und damit auch Gegenwart. Denn was wir sehen, hängt davon ab, wie wir erinnern.

Vertreibung aus dem Paradies (2017) - Öl und Cut-out auf Schichtholzplatte, 42 x 100 cm

Rückeroberung des Paradieses I (2014) - Öl und Cut-out auf Schichtholzplatte, 30 x 42 cm

Irgendwo ist immer ein Krieg (2013) - Öl und Cut-out auf Schichtholzplatte, 30 x 42 cm

„Oma, Opa und das Böse an sich“ – Eine Ausstellung zur richtigen Zeit

Das Gespräch knüpft unmittelbar an unsere, Steffens und meine sowie acht weitere Künstler:innen, Ausstellung „Oma, Opa und das Böse an sich“ an. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Verdrängung, Verklärung und der Macht des Erzählens innerhalb familiärer und gesellschaftlicher Strukturen. Was bleibt, wenn wir den Geschichten unserer Vorfahren wirklich zuhören? Was zeigt sich zwischen den Zeilen, den Fotos, den Gegenständen? Die Ausstellung trifft einen Nerv – nicht nur wegen der aktuellen politischen Entwicklungen, sondern weil sie offenlegt, wie tief Geschichte in unser heutiges Denken eingreift. Auch das ist Thema im Podcast.

Die Ausstellung wurde eröffnet am 16. Mai und läuft bis zum 8. Juni 2025.

Rahmen-PROGRAMM der Ausstellung “Oma, Opa und das Böse an sich”:

Mittwoch, 21.5., 18 Uhr: „Doggerbank – eine Erzählung“ & Kuratorenführung

Sonntag, 1.6., 16 Uhr: „Seit wann ist Jetzt“, Performance & Künstlergespräch

Freitag, 6.6., 17 Uhr: „Nester, Narben und das Erbe an sich“, Interaktive Kunstaktion von und mit mir, Stephanie Hüllmann - ich würde mich freuen euch zu sehen!

Sonntag, 8.6., 15 Uhr: FINISSAGE - „Das Böse im Hier und Jetzt“ – ein (Künstler-)Gespräch

Ort: Verein Berliner Künstler, Schöneberger Ufer 57, Berlin

Und was tun wir jetzt?

Steffen Blunk ist kein Kulturpessimist…aber auch keiner, der sich mit Lippenbekenntnissen zufriedengibt. Er fordert Haltung. Laut sein – nicht nur auf der Leinwand, auch im öffentlichen Raum. In der Diskussion. In der Weigerung, Kunst als bloßen Dekor zu begreifen. Es geht um Selbstverständnis, um Sichtbarkeit, um Selbstbehauptung in einem Klima, das zunehmend unfreundlich wird. Nicht jede Kunst muss politisch sein, aber jeder Künstler, jede Künstlerin steht in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Und wer das ignoriert, läuft Gefahr, sich ungewollt vereinnahmen zu lassen.

Vorauseilender Gehorsam und die leisen Gefahren

Ein besonders nachdenklicher Moment im Gespräch entsteht, als ich Steffen Blunk von einer Künstlerin berichte, die ihren Interview-Termin für den Atelier-Talk Podcast abgesagt hat. Und zwar aus Angst, sich mit ihren Aussagen angreifbar zu machen. Sie macht keine explizit politische Kunst, doch selbst das erscheint ihr nicht mehr neutral genug. Dieser Moment wirft eine beunruhigende Frage auf: Was passiert, wenn sich Menschen aus Vorsicht selbst zensieren – lange bevor äußere Zwänge überhaupt greifen? Und wie verändern sich dann Diskursräume, künstlerische Freiheit, das Selbstverständnis ganzer Szenen?

Ein Appell zur Klarheit – nach innen wie nach außen

Der Podcast endet nicht mit Ratlosigkeit, sondern mit einem Appell. Steffen Blunk spricht über den Wert von Selbstachtung und Integrität, über die Notwendigkeit, als Künstler:in nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit der Stimme sichtbar zu sein. Dabei geht es nicht um einfache Antworten, sondern um innere Klarheit: Welche Kunst, was für Aktionen kann ich machen, damit ich mir selbst noch in die Augen sehen kann? Diese Frage ist unbequem, aber kraftvoll. Und vielleicht ist genau jetzt die Zeit, sie zu stellen – nicht später, wenn es vielleicht zu spät ist.


Dönitz (2023) - Öl, Lack auf Schichtholzplatte, 120 x 84 cm

Zu diesem Themenbereich arbeitet Steffen aber durchaus auch mal ganz anders - hier ein Beispiel, das ich bei einem meiner Besuche bei ihm fotografiert habe:


Nochmal hören:

Steffen Blunk war schon einmal beim Atelier-Talk Podcast zu Gast:

Episode #67 Künstler und Galerist Steffen Blunk träumt und macht -Vom Anpacken und dem Gesetz der großen Zahlen


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